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Montag, 3. April 2006
Zukunft als Ko-an
meistermargarita, 23:57h
Vorbei an alten Fabrikhallen, ich weiß noch, wie die Busse aus allen Teile des Landes hier standen, um Arbeiter zu bringen, jetzt leer, nein, manche Etagen sind schon wieder vermietet, an kleinere innovative Unternehmen, der große Betrieb war einfach der Zeit nicht mehr gewachsen gewesen, mein Vater hat hier 40 Jahre verbracht.... Hinter dem vergammelten Bretterzaun die Hausmeisterwohnung, danach die alten Villen, in Eigentumswohnungen aufgeteilt, umgebaut, die großen Gärten zugebaut, vorbei am Mädchenhort zum Holzsteg. Die Silberpappeln sind so dicht, man fände den Weg nicht, wenn er nicht ein Steg wäre, und wo ein Steg ist, da ist auch ein Weg, da geht es weiter, obwohl ich immer wieder denke, die Silberpappeln umschließen mich, greifen nach meiner Seele, sofern es sie gibt. Die Genossenschaftshäuser mit ihrer schönen Aussicht auf die Talaue, mit ihren Katzensteigen, kitschigen Blumenampeln, auf einer Terrasse ein Heizstrahler mit Ständer, auf dem Rasen der Hirte aus Bronze. An der maroden Brücke steht ein riesiger roter Kranwagen auf dem aufgeschütteten Plateau, er genießt seinen imposanten Eindruck. Die Mühle mit dem Backsteinfassaden, oben das Türmchen, das ich mir so gut als Loftkrone vorstellen könnte. Entlang am schmutzigbraunen Flut, auf dem ein dreckiger Kunststofffußball treibt. Auf der Wiese viele Maulwurfhügel, genau wie in meinen Kindheitstagen, als ich erstmals hier bewusst entlangging. Einer scheint mir bald so groß wie ein Einmannzelt, jetzt ist Tschernobyl 20 Jahre her und immer noch solche Maulwürfe..?!
Ich jogge zurück, langsam fängt es an zu regnen. Zuhause schalte ich den Laptop an, gratuliere junger Dame zum Geburtstag, telefoniere gleichzeitig mit dem Freund im Krankenhaus der mir zum x-ten Male die Geschichte der menschlichen Unvollkommenheit erzählt. Das Multitasking geht auf die dritte Ebene, als die Türglocke geht und die Kinder hereinstürzen. Sie wollen Dinge zum Essen, die ich nicht dahabe, also wird ein Kompromiss ausgehandelt. Während ich essen mache, machen sie die Glotze an, „Hör mal wer das hämmert“, mein Gott. Nach dem üblichen Brüller von mir wird ausgeschaltet, Tochter schläft auf dem Sofa, der kleine Sohn im ansonsten verwaisten Ehebett Frage an den Sohn: Was ist die Zukunft? Antwort: Das ist die Vergangenheit und die Gegenwart zusammen. - Das bringt mich aus dem Konzept, ich muss nachdenken. Acht Jahre alt, und weiß mehr als der philosophisch promovierte ich, der ich „jüngst“ gut das sechsfache Quantum übersprang? Die Zukunft ist die Vergangenheit und die Gegenwart zusammen... Die Tochter lässt ihre Elfenspieluhr laufen, die Elfe dreht sich, auf ihren Händen ein Schmetterling, ich kehre zurück an den Rechner, muss meine Pressemitteilung schreiben... die Zukunft ist die Vergangenheit und die Gegenwart zusammen. Das ist wie ein zen-buddhistischer Ko-an ... so einfach werden Aporien des menschlichen Denkens aufgezeigt und in einem intuitiven Akt der Erkenntnis überwunden. ... link (3 Kommentare) ... comment ... older stories
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Letzte Aktualisierung: 2012.01.06, 18:45 status
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