meistermargarita
Mittwoch, 3. Mai 2006
Der erste Kuss


Vor vielen Jahren war ein eigentlich alltäglicher Anruf auf meinem AB: „Ich möchte Herrn meistermargarita sprechen, ich habe dieses und jenes Problem“. Es ist mein Job, in solchen Fällen zu helfen, und da ich an der angegebenen Adresse täglich vorbeikomme, besuchte ich sie kurz darauf, um die Angelegenheit zu besprechen. Als ich den exotisch ausgestatteten Raum betrat, dachte ich an alles, nur nicht an ein amoröses Abenteuer oder daran, mich zu verlieben. An die Große Liebe gar glaubte ich schon lange nicht mehr. Ich war zu jenem Zeitpunkt schon gut seit einem Jahrzehnt zur Überzeugung gekommen, ich könnte mich nicht mehr verlieben, dafür hatte ich einfach zu viel Sch... erlebt.
Ich kam herein und es funkte bei mir wirklich nichts, als ich eine "Hippietante" um die 40 erblickte. Eher geschäftsmäßig nahm ich die gutaussehende, wenn auch etwas melancholische Frau wahr, ich sah ihr sofort an, dass sie in jeglicher Hinsicht ziemlich viel erlebt hatte, so etwas hinterlässt Spuren, die ich aber keinesfalls unattraktiv empfand und empfinde, sondern mein Interesse an dem Menschen dahinter weck(t)en. Später sagte sie einmal, sie passe doch als "Hippietante" nicht in mein Beuteschema (da ich bisher Ärztinnen und Professorinnen bevorzugt hätte, was so nicht ganz stimmt), sie habe ja nicht einmal Abitur, aber sie würde es für mich nachholen... Ja, sie passte nicht in mein Beuteschema. Sie war keine Intellektuelle und verkehrt(e) mit etwas eigenartigen Leuten. Aber ich merkte schon bald, dass sie auf eine natürliche, intuitive Intelligenz zurücgreifen konnte und aus einem fast überreichlichen Erfahrungsschatz schöpfte, was ihren geringen formalen Bildungsstand mehr als ausglich.
Nun, ich setzte mich hin und schaute ihre Akte durch. Dabei musterte sie mich kurz von der Seite, kurz, aber doch etwas länger als normal, was mich wiederum verwunderte, denn in ihr Beuteschema passte ich ja nun eigentlich auch nicht, lebten wir doch in recht unterschiedlichen Welten.
Die besagte Angelegenheit aus meinem Tätigkeitsbereich, derentwegen ich meinen ersten Besuch machte, entwickelte sich durchaus schwierig, und ihr Büro lag günstig auf meinen täglichen Wegen, so dass meinem ersten Besuch weitere folgten, wobei mir immer irgendetwas Leckeres oder Belebendes serviert wurde.
Zufällig kam ich einige Monate später zu ihrer Geburtstagsfeier in das Büro, ein erstes Küsschen, ich streichelte ihr kameradschaftlich über den Rücken, ich merkte, wie sie bebte. Seitdem gab es bei jedem Besuch Küsschen. Wenn ich sie traf, tat und sagte ich oft Dinge, über die ich mich selbst wunderte, es war, als wenn mich etwas steuern würde. Ich war wie ein Resonanzkörper, ein Katalysator, über den etwas lief, worauf ich keinen Einfluss hatte noch haben wollte.
Nun gab es damals durchaus eine andere Frau, eine intellektuelle Künstlerin, die mich eben als Frau interessierte und auch schon entsprechende Kontakte gelaufen waren, wenngleich ohne seelischen Tiefgang. Auf einem Weihnachtsmarkt traf ich sie nach längerer Pause wieder und sie ging mich offensichtlich interessiert an. Wieder steuerte mich irgendetwas, ich erzählte ihr ohne Anlass noch Grund von dem exotischen Büro mit dieser interessanten Frau, die mit Kunsthandwerk handelt. Sie dozierte über den Unterschied, Kunsthandwerk selbst zu machen oder es aber nur einzukaufen und verschwand. Kurz darauf kam meine "Hippietante" mit ihrem Sohn. Der Sohn begutachtete mich, zudem wie wir uns anschauten und hüpfte daraufhin wie Rumpelstilzchen um die Mutter herum, immer im Kreis. Alles meins.
Einige Wochen später bereitete sie einen längeren Auslandsaufenthalt vor und ludt mich zu einer kleinen Feier ein, es gab ein Missverständnis über den Termin, so dass ich nicht kam. Zwei Tage vor ihrer Abreise kam ich noch einmal in ihr Büro, dieses Mal hatte ich meinen Sohn dabei. Nach einer halben Stunde brachen wir auf, um meine Tochter von der Schule abzuholen, mein Sohn ging vor. Ich sagte zu ihr, sie solle nur wiederkommen und nicht in der Ferne bleiben, das Gute liegt so nah, gab ihr ein, zwei Küsse auf den Backen und dann – ich fühlte mich wie beim ersten Mal – gab es plötzlich einen richtigen Kuss... Sie schaute ängstlich zu meinem Sohn.
„Bis in zwei Monaten...“

Fortsetzung siehe 2. Oktober.

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Hm. Anfangs klingt es nach einem Augenzwinkern. Spätestens mit der dritten Erwähnung aber wird das Wort Hippietante unangenehm herablassend. Warum distanzieren Sie sich so?

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Einer von vielen stilistischen Schwächen des inzwischen überarbeiteten Beitrages. Der Begriff stammt von ihr.

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Das ist natürlich etwas anderes. Nichts für ungut.

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